Jede Menge Stoff

Ansprache im Eröffnungsgottesdienst von Pfarrer Karl-Eugen Fischer

Predigt von der Leiter. Foto: Josh v. Staudach

Predigt von der Leiter.
Foto: Josh v. Staudach

Jede Menge Stoff –

Gesprächs-Stoff – Konflikt-Stoff –

Kunst-Stoff …

Tücher – unbefleckt und weiß wie der Anfang,

die Unschuld –

gereinigt, gewaschen,

befreit vom Blut und vom Schweiß der Geschichte

 

so wie sie hier im Kirchenraum herumliegen –

entfaltet, zerknittert, drapiert, geworfen, gebügelt, geplättet, verfaltet, –

erwecken sie den Eindruck eines eben verlassenen Ortes:

Da war doch was –

ein verlassener Ort.

Zerknüllte, leere Tücher erinnern an Hüllen, an Häutungen,

Bilder von Auferstehungen auch –

aus einer durchliebten Nacht,

aus einem durchliebten Leben,

 

Bilder von einem verlassenen Ort –

da war doch was.

 

Und dann ein Triptychon fein säuberlich gelegter und gestapelter Tücher.

Sie sagen mir:

Da kommt noch was. Es ist noch nicht vorbei.

Wir sind gespannt:

 

Irgendwo dazwischen sind wir gespannt.

 

An Himmelfahrt – vor drei Tagen – hat der Auferstandene sich endgültig verabschiedet,

hat sich entzogen

der Kontrolle – und dem Zugriff

von Wünschen und Bedürfnissen,

von Aggression und Gewalt,

von Macht- und Herrschaftsphantasien

– für immer entzogen.

Zurück bleibt ein Versprechen,

ein leeres Tuch –

 

das Tuch, in das er als Kind gewickelt

und in eine Krippe gelegt worden war,

das Tuch, in das er das Geheimnis seines Lebens gehüllt

und das so vielen Menschen Hoffnung machte,

ja: Heilung brachte

wie jener Frau,

der allein schon die Berührung reichte, um wieder aufzustehn –

das Tuch, das seine Scham bedeckte

und sein Blut aufnahm,

als er gefoltert und getötet wurde,

das Tuch, in das gehüllt er in sein Grab gelegt

und das dann offen und verlassen da lag

als sie kamen und ihn suchten

und nicht fanden

bei den Toten.

 

Ein Tuch als Spur, die sich durch Jesu leben zieht

und die uns bleibt, nachdem er in den Himmel fuhr.

Da liegt es nun, von Schweiß und Blut befleckt

und dem durchliebten Leben und dem durchlebten Tod.

 

Und wir sind ratlos wie die Jüngerinnen und Jünger,

die sich beim Fest in einem Haus versammelt,

auf neue Zeiten und auf neue Zeichen warteten.

 

Doch plötzlich, so heißt es in der Bibel,

geschah ein Brausen vom Himmel

wie von einem gewaltigen Sturm

und erfüllte das ganze Haus in dem sie saßen. …

Und sie begannen in der göttlichen Geistkraft

und in anderen Sprachen zu sprechen …

und die Leute, die es hörten und sie sahen,

waren entsetzt und verwundert und fragten sich, Einer die Andre:

Was will das werden?

So öffnen auch wir Fenster und Türen der Brenzkirche in der Erwartung, dass so ein Brausen vom Himmel – dass der Geist hindurchfährt und dieses Haus mit Leben erfüllt.

Wir öffnen Türen für Menschen

aus anderen Räumen,

mit anderen Träumen,

für Künstlerinnen und Künstler,

Menschen die eine eigene, oft andere Sprache sprechen,

die anders glauben, anders leben und andere Bilder haben

für das, was sie bewegt.

 

Was will das werden?

 

Wir wissen es nicht.

Der Geist weht bekanntlich wo er will.

Und wir sind gespannt,

wie das eine oder andere Tuch,

bereit uns in den Wind zu stellen und dem, was er so mit sich bringt.

Es ist alles offen, damit aus nichts etwas entstehen kann

und fest Gefahrenes in Fluss gerät und neues Spiel bekommt.

 

In seinen Entwurf-Skizzen zur Atelierkirche hat Thomas Putze die Brenzkirche als Segelschiff gezeichnet, mit Masten und Segeln und Tauen.

Das hat mir gefallen. Es ist ein bisher unerfüllter Kindheitstraum, einmal mit einem Segler in die Welt hinaus und ins Blaue hinein zu segeln.

Wer weiß, vielleicht kommen diesem Traum die nächsten drei Wochen ein Stück weit entgegen.

Wir haben die Tücher, wir haben die Taue, wir haben das Holz und wir haben die Sehnsucht nach der Weite.

Und wenn ich das alles hier so sehe, denke ich, dass auch das Brausen vom Himmel nicht lange auf sich warten lässt und dieser Kirche in die Segel fährt.

Pfarrer Karl-Eugen Fischer. Foto: Josh v. Staudach

Pfarrer Karl-Eugen Fischer. Foto: Josh v. Staudach

Gebet

ewiger Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde,

du hast uns geschaffen zu deinem Bild und uns begabt

mit vielen Fähigkeiten und schöpferischer Kraft.

Öffne uns die Sinne für die Bedürfnisse des Lebens in dieser Welt,

schenke uns deinen Geist um geistesgegenwärtig dieses Leben zu gestalten,

hilf uns aufzubrechen aus Gewohntem

und abzuschütteln was uns festhält, eng und mutlos macht.

Öffne Spielräume um aufeinander zuzugehen

um uns auseinanderzusetzen und zu versöhnen,

wo wir Toleranz üben und Mauern überwinden

Zeige uns, dass wir einander brauchen, ohne Missbrauch,

in aller Vielfalt und Verschiedenheit

Bewahre uns vor Einfalt und Rechthaberei.

Bewahre Kunst und Religion in ihrer Freiheit,

das Leben zu deuten und zu gestalten,

hilf dass beide ihr gegenseitiges Misstrauen überwinden

und gemeinsam Wege zum Leben erschließen.

In den nächsten drei Wochen wird die Brenzkirche zur Atelierkirche

der Kirchenraum wird sich verändern, Fragen aufwerfen, Gespräche provozieren.

aber er wird uns auch einladen, selbst schöpferisch zu werden,

uns einzubringen, uns auszuprobieren und zu experimentieren.

Hilf, dass diese Auseinandersetzung gelingt, dass sie unseren Blick weitet

und die Vielschichtigkeit des Lebens zu Bewusstsein bringt,

schenke uns die Offenheit, uns einzulassen und Impulse aufzunehmen,

die die KünstlerInnen in die Welt setzen,

schenke allen, den PfarrerInnen, der Gemeinde und den KunstfreundInnen die in den kommenden Wochen hier aus und eingehen, neue Einsichten,

Gib ihnen die Kraft und den Mut, Herausforderungen anzunehmen,

und sich den Fragen zu stellen.

Uns allen schenke deinen Geist der Liebe und der Besonnenheit, verbinde uns in dir und hilf uns gemeinsam wachsen im Lob und im Dank für die schöpferische Vielfalt und die Schönheit dieses Lebens.

Amen

 

 

 

pedai