Eine kleine Videodokumentation der Sonnenuhr-Installation in Daniel Beerstechers Ausstellung „Aus der Zeit“ in der Atelierkirche (9.-22.02.2020):
Nach einem Tag am Schreibtisch: mit dem Auto ins Fitness-Center, mit dem Aufzug in den zweiten Stock, um sich an Geräten abzurackern und die Leistungserfolgen in eine App einzuspeisen. Unser hochtechnologisierter Alltag nimmt zum Teil absurde Züge an. Wir leben in einer digitalisierten Welt, in der wir uns ein Leben ohne Gadgets, Apps und intelligenten Navigationssystemen kaum noch vorstellen können. Ohne Navi von Berlin nach München fahren? Selbst beim Spaziergang im nahen Stadtwald, bei dem der Schrittzähler nicht fehlen darf, findet man ohne die Handynavigation kaum noch nach Hause.
Meine Reisen haben mir gezeigt, dass es auch durchaus andere Formen der Orientierung geben kann. In Argentinien habe ich Wegbeschreibungen oft mit dem Verweis auf Himmelsrichtungen erhalten – ohne jedoch genau zu wissen, wo denn nun der Osten sei, dem ich nach der 2. Wegkreuzung folgen sollte. Als ich 2004 zu Fuß und ohne Geld in zwei Monaten von Flensburg durch ganz Deutschland nach Basel, ohne Kompass und Wanderkarte, immer nach Süden, gewandert bin, stellte sich bei mir nach einigen Wochen auch mein Orientierungssinn ein. Selbst an wolkenverhangenen Tagen habe ich gewusst, in welcher Richtung Süden liegt. Durch diese Erfahrungen wurde mir bewusst, dass Orientierung erlernbar ist, dass sie sozusagen in uns schlummert, sofern man sich viel im Freien aufhält und sich nicht auf moderne Navigationssysteme verlässt.
Da wir uns jedoch immer weniger im Freien aufhalten und auch Navigationssysteme kaum mehr aus unserem Alltag wegzudenken sind, ist es höchste Zeit, auch hier ein Gadget zu kreieren, das einerseits die Absurditäten dieser Entwicklung widerspiegelt und gleichzeitig Orientierung in einer immer komplexer werdenden Welt bietet: Deshalb habe ich eine „Sonnenlampe“ entwickelt, die die Sonne in den Innenraum holt. Diese artifizielle Sonne ist so programmiert, dass sie zeitgleich mit der echten Sonne am Morgen durch einen Dimmer langsam anfängt zu leuchten und die Morgendämmerung imitiert. Zur exakten Zeit des Sonnenaufganges macht sich die Sonnenlampe entlang einer Schiene auf den Weg von Osten nach Westen, immer dem exakten Stand der Sonne folgend, um dann zeitgleich mit dieser unterzugehen. Die Installation der Sonnenlampe hat eine Breite von ca. 7 Metern und wird auf der genauen Ost-Westachse aufgebaut werden.
Durch die genaue Imitation der Sonne im Innenraum könnte eine Person, die sich viel im selben Raum aufhält, dem Stand der Sonne ständig bewusst und unbewusst folgen und sich somit die Himmelsrichtungen auch im Innenraum verinnerlichen. „Die Sonnenlampe“ ist sowohl für den Ausstellungskontext als für den Wohnraum konzipiert, und ist damit ein Objekt, das zwischen Design, Konzeptkunst und modernem Gadget oszilliert. Gleichzeitig greift der „Lauf der Dinge“ die rasanten technischen Entwicklungen vorweg und verweist durch Übersteigerung auf ihre gesellschaftliche Relevanz.
Daniel Beerstecher