Ein Beitrag von Pfarrer Karl-Eugen Fischer im aktuellen Gemeindebrief.
Über dem Eingang der Brenzkirche empfängt eine in Terrakotta gearbeitete Gruppe die Besucherinnen und Besucher. Jesus am Kreuz und zu seinen Füßen Maria und Johannes. Ob sie in Jesus eher den Leidenden oder den Segnenden sehen, wird den Betrachtenden überlassen. Eine einladende Geste soll es jedenfalls sein, hier über dem Eingang. Im Kirchenraum über dem Altar zeigt ein Triptychon von Alfred Lörcher den Auferstandenen auf einem Schemel, keinem Thron, sitzend und mit offenen Armen: „Kommet her zu mir alle“. Es kommen Frauen und Männer, junge und alte. Diese Skulpturen sprechen eine universelle Sprache und bringen ohne Worte die Haltung der Gemeinde zum Ausdruck, die hier zusammenkommt.
In den nächsten Wochen werden gegenüber der Brenzkirche Wohncontainer aufgestellt. Menschen werden einziehen, die einen weiten Weg zurückgelegt haben, nicht um zu bleiben, sondern eher um hier Rast zu machen für ein Jahr. Denn dann sollen die Container schon wieder verschwinden und Häuser gebaut werden. Andere Menschen werden einziehen. Für ein Jahr werden wir besondere Nachbarn haben. Neue Nachbarn zunächst einmal, Menschen wie du und ich. Eltern mit Kindern, Kinder mit Eltern und Kinder ohne Eltern – junge Erwachsene.
Was die neuen Nachbarn von uns unterscheidet, ist, dass sie alles verloren haben, dass sie nicht mehr besitzen als sie am Leibe tragen, dass sie schlimme Erfahrungen hinter sich haben, von denen wir uns trotz der Bilder in den Medien keine V?orstellung machen können.
Was uns auch unterscheidet, sind die Worte, die wir sprechen. Was sie aber sehr wohl verstehen, ist unsere Körper-Sprache, sind unsere Gesten und unsere Blicke. Was sie sehr wohl verstehen, ist ob wir misstrauisch dreinsehen, ängstlich wegschauen oder ob wir sie offen und interessiert ansehen, ob wir sie ablehnen oder annehmen. Auch wenn wir unterschiedliche Worte haben, verbindet uns die Sprache der Menschlichkeit. Diese Sprache ist universal. Eine Sprache jenseits der Worte.
Es gibt in unserer Gesellschaft eine leidenschaftlich geführte Debatte darüber, mit welcher Sprache wir den geflohenen und vertriebenen Menschen begegnen sollen. Damit hängt zusammen, welche Sprache sie von uns lernen.
Ich bin froh, dass die Evangelische Nordgemeinde und die Katholische Gemeinde St.Georg in dieser Sache die Sprache Jesu sprechen: „Kommet her zu mir alle?“ Nicht nur in der Kirchengemeinde, sondern weit darüber hinaus engagieren sich so viele Menschen wie nie zuvor in der jüngeren deutschen Geschichte ehrenamtlich dafür, dass die Sprache der Menschlichkeit nicht übertönt wird vom Gebrüll der verbalen und aktiven BrandstifterInnen in unserem Land.
Ganz konkret: Seit bekannt ist, dass auf dem Killesberg Container für 2?? geflohene Menschen aufgestellt werden, haben sich über einhundert Menschen aus der Nachbarschaft zu einem Freundeskreis zusammengeschlossen. Dieser Freundeskreis organisiert sich selbst und kümmert sich darum, was gebraucht wird, damit das ?usammenleben in der neuen Nachbarschaft gelingt. In selbständigen Gruppen wird nachgedacht über den Empfang der Neuankömmlinge, über ein Willkommensfest, über Sprachkurse, Alltagsbegleitung, Hausaufgaben- und Kinderbetreuung, Freizeitgestaltung und Sport, über Kreativangebote, gemeinsames Kochen und Kleiderkammern. Es gibt eine Gruppe, die sich um ?ffentlichkeitsarbeit kümmert und ein Caf? „Welcome“, wahrscheinlich in der Brenzkirche im Dora-?Veit-Saal – welcher Name könnte besser das Willkommen gegenüber Fremden ausdrücken??
?ngste, die jetzt nach den erschütternden Ereignissen in der Silvesternacht neue Nahrung bekommen haben, sollten uns nicht irre machen. Dann hätten die Organisatoren der Straftaten ihr Z?iel erreicht. Die allermeisten Flüchtlinge wollen in Frieden leben. Silvester sollte uns in unseren Bemühungen bestärken, die Menschen zu integrieren, anstatt sie zu krimina- lisieren und irgendwelchen Rattenfängern zu überlassen.
Integration ist keine Einbahnstraße und auch keine Sackgasse: Das Thema Flüchtlinge bringt ?uer durch alle Bevölkerungs- gruppen Menschen zusammen, die ihren Beitrag dazu leisten wollen, dass diese Welt ein freundliches Gesicht bekommt. Sie tun etwas gegen die Resignation. Sie tun etwas, von dem am Ende alle profitieren. Geteilte Menschlichkeit wird nicht weniger, sondern mehr.